Wann kann Kollektive Führung entstehen?

Natalie Sennes, Hendryk Obenaus, Stefan Schneider und Kerstin Nethen entdecken die Prinzipien Kollektiver Führung

Das Konzept, das wir bei leadership³ entwickelt haben und nutzen, nennen wir Kollektive Führung. Es ist eine Art mit Führung umzugehen, die das höchste Potenzial der Gruppe oder einer Organisation herausbringt. Die drei Sätze, die kollektive Führung umschreiben, sind einfach, erfordern für die Umsetzung in der Realität jedoch neue Kompetenzen und Einsichten.

Kollektive Führung kann entstehen…

…wenn jeder einzelne Mensch, seiner tiefsten Wahrhaftigkeit folgt und sein Potenzial lebt.

Die tiefste Wahrhaftigkeit, bedeutet der eigenen Wahrheit zu folgen. Wahrheit unterscheidet sich dabei von erlernten Mustern und Ängsten, die Menschen als Automatismen prägen. Die eigene Wahrhaftigkeit beinhaltet am richtigen Platz im Leben zu sein (Beruf als Berufung) und auch mit den richtigen Menschen und der richtigen Tätigkeit. Aus dieser Position heraus zu denken und zu fühlen, was ich wirklich wirklich will und gleichzeitig, was die Gruppe oder Organisation gerade wirklich braucht. Es ist ein Platz der Weisheit, dem Menschen in solchen Momenten folgen und vergleichbar mit Flow Momenten. Das Potenzial zu leben ist dabei die Fähigkeit noch nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten zu leben.

…wenn Entscheidungen da getroffen werden, wo die höchste situative Kompetenz ist.

Mit Entscheidungen sind nicht nur formale Entscheidungsprozesse in einer Gruppe gemeint, sondern jede Form von Kollaboration. Welcher Stimme hören wir zu und welchem Prozess folgen wir? Die höchste situative Kompetenz heißt, dass Führung wie ein Ball in der Mitte liegt und immer die Person, die genau für diesen Moment am geeignetsten ist, die Führung übernimmt. Führung kann das Wort, ein Vorschlag oder eine Idee sein. Die Schwierigkeit liegt darin, das als Gruppe zu erkennen, ohne persönliche Muster, Ängste oder zwischenmenschliche Spannungen in den Weg kommen zu lassen.

Die Person mit der höchsten Kompetenz muss ebenfalls in der Lage sein, ihr eigenes Potenzial für die Situation zu erkennen und es so in die Gruppe bringen zu können, dass es angenommen wird. Gleichzeitig erfordert es von jedem einzelnen Menschen in der Gruppe aufmerksam zu sein, wenn dieser Moment vorüber ist und nicht an ihm “festzukleben”, so dass Führung nicht zu einer Position oder Tradition wird.

…wenn die einzelnen Intelligenzen sich einem Größeren verbinden und ein angebundenes, emergentes Handeln entstehen kann.

Mit den einzelnen Intelligenzen sind nicht nur die Intelligenzen unterschiedlicher Menschen gemeint, sondern auch die Intelligenzen innerhalb eines Menschen. Oft vernachlässigen wir urmenschliche Potenziale, wie die Intuition oder emotionale Fähigkeiten, wenn wir mit einer Situation umgehen wollen. Integrieren wir diese Intelligenzen wieder, haben wir die Chance in kollektiver Führung zusammenzuarbeiten. Häufig ist ein Wiedererlernen bekannter, aber lange nur schwach genutzter Fähigkeiten notwendig.

Ein angebundenes, emergentes Handeln beschreibt dabei ein Handeln, das aus dem Nicht-Wissen entsteht. Wenn wir nicht vorgeben die Lösung schon zu haben, sondern uns überraschen lassen, was aus dem Dialog, unseren Intelligenzen und unserem vollen Potenzial für Lösungen auftauchen. Wenn wir es schaffen, dass die gesamte Gruppe auf diesem Intelligenz-Level verbunden ist, dann entstehen Lösungen, die das Potenzial haben erfolgreicher und von einer neuen Ebene zu kommen als alte, reproduzierte Lösungen.

Sind alle drei Sätze gleichzeitig wahr, so sprechen wir von Kollektiver Führung. Die Führung ist also weder an Systeme wie Hierarchie, Demokratie oder Agilität gebunden. Allerdings ist die Fähigkeit in den Systemen zu wechseln ebenso förderlich wie die Fähigkeit zwischenmenschliche Spannungen zu transformieren.